Antihaftbeschichtungen nach dem Vorbild der Natur
Biologisch strukturierte Beschichtungen bieten Eigenschaften, die weit über den bekannten Lotus-Effekt – also die Selbstreinigung in Verbindung mit Wasser – hinausgehen. Im Rahmen eines geförderten Verbundprojektes werden neue Schichtsysteme nach biologischen Vorbildern entwickelt. Dabei steht die Entwicklung von Antihaft-und Korrosionsschutzschichten im Mittelpunkt.
Seit etwa zehn Jahren gewinnt der Begriff Bionik, ein Kunstwort aus Biologie und Technik, ebenfalls als „Technische Biologie“ oder Biomimetik bekannt, stetig an Bedeutung. Die beiden populärsten Beispiele aus der Grundlagenforschung sind die Riblet-Folie am Beispiel der Haut von Haien und der Lotus-Effekt, nach dem Vorbild der Blattoberseite der Lotuspflanze. Beide Entwicklungen basieren auf der Entdeckung, dass die Natur feinst-strukturierte Oberflächen präferiert, wenn Ingenieure möglichst glatte einsetzen würden.
Sowohl in Bezug auf optimale Umströmung durch Luft oder Wasser als auch auf geringste Adhäsion von Partikeln sind mikrostrukturierte Oberflächen glatten überlegen, da die Grenzschicht der Strömung positiv beeinflusst wird. So werden bremsende Verwirbe-lungen vermieden und gleichzeitig die Verschmutzung reduziert, was nicht nur eine Frage der Ästhetik ist, da sie in erhöhtem Gewicht und reduzierter Stromlinienform resultiert und für Organismen durch die Verringerung des Pathogenbefalls lebenswichtig ist. Bei
technischen Entwicklungen, wie der Konstruktion von Flugzeugen und Schiffen, gewinnt dieser Aspekt des Antifou-lings immer mehr an Bedeutung, gerade wegen der aktuell enormen gestiegenen Treibstoff- und Transportkosten. Biologische Strukturen sind meist in Bezug auf mehrere Probleme optimiert und werden häufig mit größeren Strukturmolekülen und deren Fähigkeit zur Selbstorganisation aufgebaut, was oftmals eine Strukturierung bedingt. Über die Selbstreinigung in Verbindung mit Wasser hinausgehend, ist die Antiadhäsionseigenschaft einer mikrostrukturierten Oberfläche von zunehmender industrieller Bedeutung: wie am Beispiel des Lotus-Effekts beschrieben, reduzieren unterschiedliche Größenstufen (Hierarchien) der Blattoberfläche wie Blattadern, Epidermiszellen und Wachskristalle in ihrer Kombination die Kontaktfläche um bis zu 96%.
Gemeinsam mit der starken Hydrophobie der Wachsschicht werden Schmutz und Wasser gleichermaßen abgeleitet. Dies gilt auch bei Tieren, so zum Beispiel bei Libellen mit ihren großen starren Flügeln. Eine solche Kombination mit Eigenschaften über die Selbstreinigung hinaus technisch zu realisieren ist für vielfältige Anwendungsbereiche von Nutzen. Für die Entwicklung bedarf es einer Zusammenarbeit von Forschung und Industrie über die reine Grundlagenforschung hinaus.
Enge Zusammenarbeit von Forschung und Industrie
Die Firma Rhenotherm ist seit 30 Jahren auf industrielle Beschichtungen auf Fluorpolymerbasis für die Anwendungsbereiche Antihaft, Trockenschmierung und Korrosionsschutz spezialisiert und einer ständigen Weiterentwicklung von Beschichtungssyste-men zur Betreuung variierender Kundenwünsche gegenüber aufgeschlossen. So wurde zum Beispiel mit Lotuflon eine mikrostrukturierte Fluorpolymerbe-schichtung mit unterschiedlichen Strukturebenen entwickelt. Das Unternehmen engagiert sich in einem BMBF-geför-derten Verbundprojekt (Betreuung VDI, FKZ 13N8676) zur Entwicklung neuartiger und dauerhafter antiadhäsiver Beschichtungen. Mitbeteiligt sind Partner aus Forschung und Industrie: die Firma Nehlsen-BWB aus Dresden (Galvanik, Luftfahrtindustrie) entwickelt mit Rhenotherm gemeinsam die Struktu-rierungsebenen im µm- und nm-Maß-stab. Das Institut für Bioanalysetechnik in Heiligenstadt arbeitet gemeinsam mit der Universität Halle, Institut für physiologische Chemie an der Applikation und Charakterisierung der neuartigen
Beschichtung, die TU Dresden, Institut für Botanik leistet neben der Koordination noch Arbeiten zur mikroskopischen Vermessung.
Selbstregenerierende Schichten
Bisherige, künstlich hergestellte mikrostrukturierte Antihaftbeschichtung unterscheiden sich von den biologischen Vorbildern durch ihre Oberflächenparameter, die um den Faktor 10 und mehr größer ausfallen. Ein weiteres Problem kann die mechanische Stabilität der äußersten Schicht sein, die bisher nicht – wie bei vielen natürlichen Systemen -selbstregenerierend ist. Durch eine dickere Abschlussschicht, die sich im Laufe des Einsatzes verbrauchen kann, wird das Problem umgangen. Zu beiden Themen wird mit Hilfe der Natur an neuartigen Lösungsansätzen gearbeitet, denn sowohl der Beschichtungsstoff als auch die entscheidenden Strukturparameter orientieren sich an natürlichen Systemen.
Tetraetherlipide (TEL) sind Bestandteile der Hülle bestimmter Archaebak-terien wie Thermoplasma oder Sulfolo-bus. Archaebakterien leben meist in äußerst unwirtlicher Umgebung mit hohen Temperaturen und niedrigen pH-Werten, zum Beispiel in heißen Quellen oder der Tiefsee. Ihre Hülle muss das Zellinnere vor diesen lebensfeindlichen Umwelteinflüssen schützen. Die TEL sind etwa 4 nm winzige zyklische Moleküle aus zwei Alkanketten, die jeweils an ihren Enden mit Etherbindungen verbrückt sind und über ihre Kopfgruppen an das Substrat kovalent gebunden werden können.
Hohe chemische Resistenz
Wegen ihrer durch diese Struktur bedingten Stabilität sind sie in der Lage, in Selbstorganisation eine geschlossene Schicht aus vornehmlich senkrecht parallel zueinander angeordneten Molekülen zu bilden, deren Eigenschaft aus der der Bakterienhülle abgeleitet werden kann, wie zum Beispiel Temperaturresistenz bis 300 °C, hohe chemische-, UV- sowie Säurebeständigkeit.
Aufgrund ihrer molekularen Struktur sind TEL unreaktiv, nicht leitend und in mehrlagiger Schichtung als Isolator vorstellbar.
Im Gegensatz zu bisher verwendeten antiadhäsiven Beschichtungen aus Fluorpolymeren bietet die Möglichkeit der kovalenten Anbindung an nahezu jedes beliebige Material eine hohe mechanische Stabilität, da die Schicht nicht nur auf dem Substrat aufliegt, sondern letztendlich mit ihm eins wird. Die nach oben stehende Kopfgruppe wiederum kann so funktionalisiert werden, dass bestimmte Eigenschaften eingestellt werden können – nach außen ist die Beschichtung beispielsweise hydrophil, während das TEL-Molekül selbst hydrophob bleibt.
Wegen der geringen Größe und steuerbaren, flexiblen Funktionalisierbar-keit der TEL ist ein breites Einsatzspektrum zu erwarten: ein- bis zweila-gige Schichten sind geeignet, Medizinprodukte wie feine Kanülen oder Schläuche innen zu versiegeln und deren Reinigung zu erleichtern, was zurzeit mit anderen Techniken nur schwierig zu erreichen ist. Auch eine kovalent angebundene Überschichtung mit bakterizidem kolloidalem Silber ist möglich. Aufgebracht auf zum Beispiel Glasflächen haben Tests bereits erfolgreich gezeigt, dass optische Sensoren nahezu wartungsfrei im Freien oder in Anlagen genutzt werden können.
Hauptaugenmerk auf Antihaft- und Korrosionsschutzeigenschaften
Eine völlig brechungsfreie Beschichtung von Fassadenverglasungen, bisher technisch nicht zu realisieren, scheint möglich zu werden. Die TEL können auf Wunsch auch in dickeren Schichten aufgebracht werden, damit zum Beispiel ein Abrasionsschutz zusätzlich zu den weiteren gewünschten Eigenschaften wie Chemikalienbeständigkeit, hohe Anti-hafteigenschaften oder aber gute Traktion durch eine weiche, gummiartige Oberfläche gewährleistet werden kann. Bei den möglichen Anwendungen gilt ein Hauptaugenmerk der Beschichtung von Metalloberflächen im Hinblick auf Antihaftung und Korrosionsschutz. Vorstellbare Einsatzgebiete reichen von der Funktionsteilbeschichtungen von zum Beispiel Wannen, Walzen, Entformern, Sprühtrocknern und Trommeln bis zur Fassadenelementeversiegelung. Bei vielen der genannten Anwendungsmöglichkeiten spielt der zweite bionische Aspekt eine wichtige Rolle, da durch eine den natürlichen Vorbildern angeglichene Mikrostrukturierung die Kontaktfläche für Staub, Wasser und auch einzellige Lebensformen wie Algen und Bakterien so stark herabgesetzt wird, dass äußerst wenig auf diesen Oberflächen verbleiben kann. Mit einer entsprechenden Polyfluorierung ist denkbar, dass sogar starke Netzmittel und Öle die Oberfläche nicht mehr benetzen können – möglicherweise erstmals eine Oberfläche, die Grafittisprayern komplett die Laune verdirbt.
Bis es soweit ist, muss man sich allerdings noch etwas gedulden. Das Projekt mit einer Förderlaufzeit über drei Jahre hat im November 2004 begonnen und bis zur Einsatzreife erster Produkte werden noch einige Jahre vergehen. Eine bisher wichtige Hürde ist die beschränkte Verfügbarkeit des Beschichtungs-stoffs: TEL sind, da sie aus den Hüllen weniger µm großer Einzeller gewonnen werden, in gereinigter Form bisher nur in geringeren Mengen vorrätig und daher entsprechend kostspielig. Es reichen jedoch 2 mg für eine einschichtige Abdeckung von 1 m².